Tieguanyin, wörtlich übersetzt „Eiserne Göttin der Barmherzigkeit“, ist weit mehr als nur ein Tee. Er ist
Legende, Ritual und lebendige Geschichte zugleich. Seinen Ursprung hat dieser halbfermentierte Oolong
in der Provinz Fujian, genauer gesagt im Kreis Anxi. Dort erzählt man sich die Geschichte eines armen
Bauern namens Wei, der einen heruntergekommenen Tempel der Guanyin – der Göttin des Mitgefühls –
täglich reinigte. Als Dank erschien ihm die Göttin im Traum und zeigte ihm eine Teepflanze tief im Tal.
Wei fand sie, pflegte sie, und aus ihr entstand ein Tee von außergewöhnlicher Qualität – Tieguanyin.
Seit dem 18. Jahrhundert ist dieser Tee in ganz China und darüber hinaus berühmt. Heute gilt er als ein
Höhepunkt der chinesischen Teekunst, der in traditionellen Teezeremonien wie auch im Alltag seinen
Platz hat.
Tieguanyin wird vor allem in Anxi auf Höhenlagen zwischen 600 und 1000 Metern angebaut. Die
dortigen Bedingungen – kühle Nächte, feuchte Luft und mineralreiche Böden – sind ideal für die
langsame Reifung der Teeblätter. Die Pflanze selbst ist eine spezielle Varietät mit dickeren Blättern und
intensiverem Blattfleisch.
Die Verarbeitung dieses Tees ist besonders aufwendig. Nach der Ernte werden die Blätter welken gelassen
und mehrfach leicht geschüttelt, um die Zellstruktur aufzubrechen. Dies löst die kontrollierte Oxidation an
den Rändern der Blätter aus. Der Tee wird anschließend sanft erhitzt, gerollt, geformt und getrocknet – je
nach Stil leicht oder stärker geröstet. Es gibt zwei Hauptstile: den hellen, floral-grünen Tieguanyin und
den stärker gerösteten, nussigen dunklen Stil. Beide tragen die Essenz der Göttin in sich.
Tieguanyin ist ein Meisterwerk des Gleichgewichts. Schon der Duft des trockenen Blattes erinnert an
Orchideen, geröstete Nüsse und einen Hauch warmer Frühlingswiese. Im Aufguss zeigt sich ein klares,
goldenes bis jadegrünes Farbspiel, je nach Röstgrad.
Am Gaumen entfaltet sich ein komplexes Aroma: florale Süße, frische Cremigkeit, ein wenig Butter und
eine feine, mineralische Note. Mit jedem Aufguss verändert sich der Charakter des Tees – von duftig und
sanft bis hin zu würzig und samtig. Die Textur bleibt dabei weich und fast ölig, der Nachhall lang und
meditationsartig.
Ein guter Tieguanyin kann acht oder mehr Aufgüsse überstehen und wird dabei immer wieder neu.
Gefäß wählen
Ideal eignen sich Gaiwan oder kleine Yixing-Kännchen. So kommen die feinen Röst- und Blumennoten optimal zur Geltung.
Dosierung
Verwenden Sie ca. 5 g Tieguanyin für 150 ml Wasser (Verhältnis ~1:30). Für Gong Fu Cha empfehlen sich 7–8 g auf 100 ml.
Wasserqualität & Temperatur
Frisches, weiches Quell- oder Gefiltertes Wasser auf 95 °C erhitzen. Zu heißes Wasser kann die delikaten Aromen überlagern.
Spülen
Gießen Sie eine kleine Portion heißes Wasser auf die Teeblätter und schwenken Sie sie sanft durch (5–8 Sekunden), um Staub zu entfernen. Schütten Sie das Spülwasser ab.
Erster Aufguss
– Ziehzeit: 10–15 Sekunden
– Öffnen Sie den Deckel kurz, um die sich entfaltenden Blätter zu beobachten. Gießen Sie dann direkt in eine Abwurfkanne.
Folge-Aufgüsse
Verlängern Sie die Zeit um jeweils 5–7 Sekunden:
2. Aufguss: 15–20 Sekunden
Aufguss: 20–25 Sekunden
Aufguss: 25–30 Sekunden
Tieguanyin hält oft 6–8 Aufgüsse lang, wobei die Aromen sich von blumig-frisch zu cremig-nussig wandeln.
Genuss
Servieren Sie jede Tasse möglichst frisch, um die feine Balance zwischen Röstnote und floraler Süße zu erleben. Nehmen Sie sich Zeit: Riechen Sie am ersten Aufguss, bevor Sie nippen, und lassen Sie die Wärme auf der Zunge wirken.
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